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Harjung, J. Dominik:
Die genaueste und zuverlässigste deutsche Bibel.Woran erkennt man eine gute Bibelübersetzung?Berneck 1996: Schwengeler-VerlagISBN 3-85666-379-7 |
Dieses Buch war schon lange fällig.
Ach, daß dieses Buch doch nie erschienen wäre!
Zugegeben, das klingt paradox, aber beides trifft zu.
Es geht um die sogenannte Elberfelder Übersetzung
der Bibel.
Deren Herausgeber behaupten in ihrem Vorwort ganz locker, daß siedie
genaueste und zuverlässigste deutsche Bibelübersetzung
sei. Das
könnte man als Überheblichkeit zur Kenntnis nehmen und zur
Tagesordnung übergehen, wenn derElberfelder
nicht in gewissen
Kreisen in der Praxis oft eine Anerkennung, ja sogar eine Verehrung
zukäme, die nicht angebracht ist und sich eben auf die vermeintlich so
große Genauigkeit gründet. Sie wird in bestimmten Gemeinden fast als
einzige und im Zweifelsfall immer maßgebliche Übersetzung benutzt.
Im Vorwort derElberfelder
wird auch betont, daß man sichum
gutes, verständliches Deutsch
bemüht hat. Daß dieElberfelder
weitgehend kein gutes, verständliches Deutsch bietet, das merkt
eigentlich jeder, der sie unvoreingenommen liest. Wer sie seit Jahren oder
Jahrzehnten kennt, der hat sich an ihre Eigenheiten gewöhnt, dem fallen
ihre sprachlichen und stilistischen Mängel natürlich nicht mehr auf.
Die diesbezügliche Bemerkung im Vorwort erhält erst dann einen Sinn,
wenn man die Sprache der revidierten Ausgabe mit der der unrevidierten
vergleicht – im Gegensatz zu dieser ist das Deutsch nämlich
wirklich besser.
Bleibt aber der nicht eben bescheidene Anspruch, die genaueste und
zuverlässigste deutsche Bibelübersetzung
zu sein. Wenn man genau
und zuverlässig
durch wörtlich
ersetzt, stimmt es fast.
Ich kenne nur zwei deutsche Übersetzungen, die wörtlicher wären
als die Elberfelder
– gegen die eine liest sich die Elberfelder
allerdings wie eine freie Übertragung. Nur darf man wörtlich
einerseits und genau
oder zuverlässig
andererseits nicht
verwechseln.
Daß es geradezu ein Leichtes ist, die Bibel wörtlich zu
übersetzten, das weiß ich spätestens seit jenem denkwürdigen
Tag, an dem ich einen Bibelvers, den ich im Hebräischunterricht im
ersten Semester an einer theologischen Akademie übersetzt hatte, noch
einmal durchlas. Der Wortlaut kam mir bekannt vor. Und richtig: Ich schlug
in der Elberfelder
nach und fand genau dasselbe vor, was auch ich
übersetzt hatte.
Doch genug meiner Vorrede, jetzt endlich zum Buch:
Dominik Harjung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anspruch der Elberfelder
Bibel – die genaueste und zuverlässigste deutsche
Übersetzung zu sein – zu widerlegen. Sein Buch ist
überwiegend in einem leicht zu lesenden, erfrischend lockeren Stil
geschrieben. Das ist aber leider eins der wenigen Dinge, die an seinem Buch
positiv auffallen.
Die Absicht des Autors war es, dem Elberfelder
-Leser, der den
Mythos der genauesten und zuverlässigsten
deutschen
Übersetzung unreflektiert übernommen hat, eine Hilfestellung an die
Hand zu geben, diesen Anspruch zu prüfen.
Daß er dieses selbstgesteckte Ziel nicht erreicht hat und das Buch
keineswegs in diesem Sinne aufgenommen worden ist sondern im Gegenteil der
Autor und sein Buch viel böse Schelte bezogen haben, hat vor allem zwei
Gründe: Zum einen hat es der Autor versäumt, das Buch im ganzen Stil
auf den angestrebten Adressatenkreis zuzuschneiden, zum anderen hat er es
völlig falsch aufgebaut. Daß er selbst nicht mit gutem Beispiel
vorangeht und teilweise genau dieselben Fehler macht, die er der Elberfelder
anlastet, tut natürlich noch ein übriges.
Ich möchte – nicht um das Buch zu verreißen, sondern dem Interessierten den Zugang zu erleichtern – darstellen, was da so verkehrt gelaufen ist:
Zunächst fällt auf, daß der Autor höchst undiplomatisch
vorgeht. Ist es einem Elberfelder
-Anhänger zu verdenken, daß
er das Buch – zumindest gedanklich – weit von sich
wirft, wenn er auf Seite 36, wo es um die Übersetzung eines bestimmten
Bibelverses geht, als allererste (!) konkrete Aussage zur Elberfelder
folgenden Satz liest: Hier ist einmal ELB … besser übersetzt
als EINH.
? Aus diesem Satz folgt für ihn automatisch, daß der
Autor sagen möchte: die Einheitsübersetzung
ist normalerweise
besser als die Elberfelder
, und das wird auch der gutwilligste Elberfelder
-Anhänger,
der das Buch wahrscheinlich sowieso schon mit gemischten Gefühlen in die
Hand genommen hat, nicht akzeptieren. Schade, daß sich der Autor durch
solche Mißgriffe Sympathien unnötigerweise schon im Voraus verscherzt.
Der Leser, der aber tatsächlich gutwillig weiterliest, wird förmlich erschlagen von einer Fülle an sprach- und übersetzungswissenschaftlichen Fachausdrücken, die ihm nichts nützen, sondern ihn ermüden und ihm die Lektüre erschweren. Selbstverständlich geht es in einem solchen Buch nicht ohne Fachausdrücke, aber hier wäre weniger mehr, viel mehr, gewesen: Eine kommentierte Literaturliste im Anhang hätte genügt, um dem sprachlich wirklich Interessierten eine Anregung zur Weiterbildung zu geben.
Genauso schwer wie diese psychologische Unsensibilität wiegt der
falsche Aufbau: Der Autor zäumt das Pferd vom Schwanz her auf. Praktisch
als letzter themarelevanter Teil im Buch kommt Kapitel 11, Zwölf
Merkmale für gutes Übersetzen
. Dieses wirklich gute und
lehrreiche Kapitel hätte ziemlich weit nach vorne gehört, um dem
Leser klarzumachen, wodurch sich eine gute Übersetzung auszeichnet. Aber
nicht nur, daß dieser entscheidende Teil des Buches zu spät kommt,
nein, der Autor bezieht sich in den Kapiteln vorher immer und immer wieder
darauf. Geradezu verwirrend ist es, daß bei diesen Vorgriffen auch noch
auf die Nummerierung des jeweiligen Merkmals verwiesen wird. Man rätselt
dann unwillkürlich, ob man denn eine Gliederungsebene im jeweiligen
Kontext verpaßt hat: Moment – ich bin doch auf S. 88 im
2.Teil, Abschnitt I, Kapitel 6 … warum kommt jetzt eine
Überschrift '6. MERKMAL'? Habe ich 1-5 verpaßt?
Und nicht genug damit: Häufig ist leider keine klare
Gedankenführung zu erkennen. Es werden Dinge ohne echten Zusammenhang
aneinandergereiht, Aussagen im Raum stehengelassen, ohne ihre Bedeutung
für die augenblickliche Argumentation explizit zu nennen. Lesern, die es
gewohnt sind, mitzudenken, wird das keine großen Probleme bereiten. Aber
selbst ich, der ich mich zu dieser Gruppe zähle, habe mehr als einmal
gestutzt und mich gefragt: Warum führt er das hier jetzt an? Was will
er damit sagen?
Der unbedarfte Leser hat aber Probleme damit. Ihm
wäre mit ein paar verbindenden Worten oft geholfen.
Was ich anfangs mit meinem Seufzer, daß dieses Buch besser nie
erschienen wäre, meinte: daß es in dieser Form besser nicht
erschienen wäre. Das Anliegen des Autors verdient es, gehört zu
werden – auch und gerade von denjenigen, die gar nicht merken,
wie trügerisch der Anspruch von der genauesten und zuverlässigsten
Übersetzung ist.
Ich kann nicht anders, als mich einem anderen Rezensenten (Dr. Heinrich
von Siebenthal, Professor für Biblische Sprachen und Textforschung an
der Freien Theologischen Akademie Gießen) anzuschließen: Mit der
Hauptaussage hat es mir aus dem Herzen gesprochen. Als besonders wohltuend
empfand ich, wie engagiert und phantasievoll sein Anliegen darin vermittelt
ist. Und ich hoffe sehr, daß es gelingt, viele auch mit Leitungsaufgaben
betraute Christen zu überzeugen und auf diese Weise mitzuhelfen, eine
neue Welle gesunder Begeisterung für die Inhalte der Heiligen Schrift
auszulösen.