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Knuth, Donald E.:

3:16. Bible Texts Illuminated

Madison, WI 1991: A.-R. Editions
ISBN 0-89579-252-4

Dieses Buch ist etwas Besonderes. Noch ungewöhnlicher als sein Titel “3:16” (der manchem Bibliothekar Schwierigkeiten bereiten wird), ist sein Autor: Handelt es sich doch um keinen Geringeren als den – ich bin versucht zu sagen: legendären – Professor der Informatik, den jeder Informatiker zumindest als den Autor des Standardwerkes The Art of Computer Programming und des Text-Satz-Systems TEX kennt (in einem Artikel über TEX in der c't 15/97 wird Knuth “Informatik-Papst” genannt).

Doch damit nicht genug: Die Gestaltung des Covers und eine Illustration hat Hermann Zapf besorgt. Auch der Name dieses Kalligraphen ist vielen vertraut, die sich – auch auf dem Computer – mit Schriftsatz befassen.

Mich als Christen mit besonderem Interesse am Bibelstudium, von Beruf Programmierer, mit privatem Hang zur Kalligraphie, hat dieses Buch natürlich in höchstem Maße interessiert.

Es hat sich als praktisches Ergebnis einer vom Autor angewandten Methode des Bibelstudiums herausgestellt.

Knuths erster Satz im Vorwort: “Die Bibel ist ein unvergleichliches Buch.” Dieser Satz aus der Feder eines hervorragenden Mathematikers und Informatikers ist schon ein gewaltiges Zeugnis. Er spricht mit großer Hochachtung von der Schrift und berichtet von seiner Liebe zum intensiven Bibelstudium, die ihn schon viele Jahre auszeichnet. Erst war er Teilnehmer an verschiedenen Bibelstudiengruppen, später unterrichtete er selbst nach “seiner” Methode, auf die ich gleich zu sprechen komme. Und weil “seine” Methode soviel Anklang gefunden hat, hat er das vorliegende Buch geschrieben.

Knuth ist theologischer Laie, aber er schreibt auch sehr treffend, daß ihm sein wissenschaftlich geschulter Verstand beim Bibelstudium sicher kein Hindernis sein wird. Und beim Thema “Bibelstudium” habe ich oft von sogenannten Laien schon Wertvolleres gehört als von sogenannten Fachleuten.

Knuth spricht kurz drei Methoden des Bibelstudiums an (Fortlaufendes Lesen eines Buches der Bibel; Erarbeitung von einzelnen Themen in der Bibel; Lektionarien, in unserem Raum etwa Texte zu einzelnen Sonntagen des Kirchenjahrs), um dann “seine” Methode vorzustellen, die er “stratified sampling” nennt (zu deutsch etwa “geschichtete Probeentnahme”): die Auswahl der zu studierenden Texte nach dem Zufallsprinzip. Allerdings ermittelt er die Verse durch eine Methode, die er einer statistisch repräsentativen Auswahl vergleicht. Er nimmt – der Titel sagt es schon – aus jedem Buch der Bibel den 16. Vers des dritten Kapitels, inspiriert durch die zentrale Stelle Johannes 3.16.

Ist ein Kapitel 3 zu kurz, als daß es einen Vers 16 enthalten könnte, zählt er einfach vom Ende des dritten Kapitels weiter:
z.B. wird statt des nicht existenten Vers Ps 3.16 der Vers Ps 4.8 betrachtet. Hat ein Buch gar kein oder nur ein zu kurzes Kapitel 3, entfällt es ganz. Knuth meint, das sei nicht so schlimm, da die Bücher Obadja, Haggai, Titus, Philemon, 2. und 3. Johannes und Jakobus – die auf diese Weise komplett durch die Maschen des “stratified sampling” fallen – anderen Büchern, die lang genug sind, ausreichend glichen. Ob dem so ist, darüber wird man trefflich streiten können. Jedenfalls bleiben 59 Verse zur Betrachtung übrig.

Auch einen anderen Einwand versucht Knuth gleich zu entkräften: Der Vers 3.16 steht bei längeren Büchern ziemlich am Anfang. Knuth meint dazu, daß das in der Praxis keine Rolle spiele. Auch dies eine Meinung, der man sich vielleicht nicht unbedingt anschließen muß.

Knuth sagt klar und deutlich, daß diese Methode keine der anderen angesprochenen Methoden des Bibelstudiums ersetzen kann, auch und schon gar nicht in seinem eigenen Studium.

Die Anwendung des Zufallsprinzips bei der Beschäftigung mit der Bibel ist nicht neu. Knuth führt selbst eine Stelle bei John Wesley an, der das Zufallsprinzip manchmal angewandt hat (daß er diesen Hinweis auf Seite 316 einer Wesley-Ausgabe gelesen hat, schreibt er allerdings dem Zufall zu). Was Knuth aber an seiner Methode als neu und fruchtbar bezeichnet, das ist die strenge Beachtung des Kontextes, in dem ein ausgewählter Vers steht, und der Vergleich des Verses mit parallelen Gedanken an anderer Stelle.

Die starke Bewertung des Kontextes ist im Aufbau des Buches konsequent berücksichtigt: Jedem betrachteten Vers sind vier Seiten gewidmet: Eine Seite Einleitung in das Buch, worin der Vers steht, eine Seite mit der Kalligraphie des Verses, zwei Seiten Studium des Verses. Die jeweils erste Seite setzt den betrachteten Vers also in seinen Kontext.

Erfreulicherweise vermißt man in der Darlegung der Methode (die ich mit großem Genuß gelesen habe; man merkt eben, daß ein Informatiker einen “Algorithmus” definiert) jede Mystik, wie sie Erörterungen dieses Themas oft eigen ist. Für Knuth ist die 3.16-Regel einfach eine Methode, um Stichproben für seine Untersuchung zu gewinnen; auch wenn er im Nachwort schreibt: “Entweder hat Gott in die 3.16-Verse ungewöhnlich hervorragende Gedanken gelegt oder die Bibel ist außergewöhnlich reich an Inhalt.” – aus Vor- und Nachwort kann man aber erkennen, daß dies für ihn keine offene Frage ist, sondern daß er die zweite Möglichkeit vorzieht. Er betont auch, daß die 59 selektierten Verse kein “Super-Mini Reader's Digest”, kein komprimiertes Kompendium der biblischen Lehre seien, sondern eben durch Zufallsstichprobe selektierte Verse.

Allerdings betont Knuth auch sehr deutlich, daß seine Methode eine neue Dimension des Verständnisses der Bibel eröffne, die die anderen Methoden nicht liefern könnten. Ob dieser nicht eben bescheidene Anspruch erfüllt wird, das wird davon abhängen, inwieweit man die Bibel schon kennt, bevor man diese Methode anwendet; denn von der Methode “Fortlaufendes Lesen” unterscheidet sie sich nicht, wenn das fortlaufende Lesen den fraglichen Vers erreicht hat.

An dieser Stelle muß erwähnt werden, daß Knuth sich nicht ausschließlich auf biblische Texte beschränkt: Die neue Dimension des Verständnisses soll sich auch auf “verwandte Literatur” erstrecken. Daß Knuth damit die Apokryphen meint, legt das Nachwort nahe: im Ausblick nennt er die Apokryphen ausdrücklich als angestrebtes Studienobjekt. Was Knuth darin zu entdecken hofft, ist mir unklar.

Die 59 Verse, die das Buch behandelt, sind übrigens keiner einzelnen Übersetzung entnommen. Knuth hat sie selber “übersetzt”. Da er der biblischen Grundsprachen nicht mächtig ist, hat er – und diese Methode empfiehlt er dem Leser wärmstens – die Stellen in einem guten Dutzend der besten Übersetzungen nachgeschlagen und selbst formuliert, ergänzt durch das Studium des Vorkommens der betreffenden Grundtextwörter an anderen Stellen. Knuth erwähnt hier einige gedruckte Hilfsmittel, weist aber – er wäre ja kein Informatiker! – auch auf die zunehmende Computerisierung solcher Hilfsmittel ein.

Nebenbei bestätigt Knuth an dieser Stelle die Einsicht, daß keine einzelne Übersetzung zu diesem Zweck allen anderen vorgezogen werden kann.

Man merkt sehr deutlich, daß der Autor viele Kommentare gelesen hat (ein Literaturverzeichnis wäre angebracht gewesen). Er erklärt viele Hintergründe und Zusammenhänge, wenn auch nicht immer sehr verläßlich – seine Erklärungen sind eben so gut oder schlecht wie die von ihm konsultierten Kommentare (obwohl es auch an eigenen Überlegungen nicht mangelt). So mutet es denn doch seltsam an wenn man liest, daß das griechische Wort für Taube, “peristera”, den Namen der Liebesgöttin Ischtar enthalte oder daß der Heilige Geist von den alten Christen “weitgehend” als der weibliche Aspekt Gottes gesehen worden sei und daß man das Pronomen “sie” verwenden könne, wenn man vom Heiligen Geist spricht. Knuth hat seine Erkenntnisse offensichtlich von Theologen jedweder Couleur zusammengetragen.

Man sollte für eigene Zwecke seine Erklärungen nicht einfach übernehmen, sondern sie nur als Anregungen auffassen.

Knuth beschränkt sich bei seinen Ausführunngen keineswegs auf trockenes Wissen, sondern bringt sehr oft auch praktische Anwendungen.

Leider vertritt er völlig kritiklos die “Ergebnisse” der historisch-kritischen Theologie (jedenfalls in den Texten zu den 3.16-Versen, im Nachwort sieht es merkwürdigerweise anders aus); er bringt oft höchst spekulative Informationen zu Entstehung und Überlieferung der Bücher und spricht auch von Sagen und Legenden.
Besonders deutlich kommt das natürlich bei den Mosebüchern zu Tage: So nähmen nur “einige Leute” die Genesis heute noch ernst, 1. Mose 3 sei ein Gleichnis, eine Allegorie, das 3. Buch Mose enthalte “primitive Riten”, das 4. Buch Mose enthalte “unmöglich hohe Zahlen” und symbolische Werte seinen wichtiger als mathematische Präzision. Ob die Geschichte, der 1. Könige 3.16 entnommen ist, Realität oder Legende ist, läßt Knuth dahingestellt.

Alles in allem ist Knuths Methode nicht mehr – aber auch nicht weniger – als eine originelle Art und Weise, Abwechslung und Breite ins Bibelstudium zu bringen. Der große Anklang, den seine Methode findet, könnte aber auch ein wenig auf die Reputation zurückzuführen sein, die er als Wissenschaftler genießt. “Ein frommes Buch von Knuth? Das muß ich haben!” – Dies wird nicht nur meine eigene Reaktion gewesen sein.

Noch ein Wort zu den Kalligraphien:

Angesichts der Tatsache, daß 59 Kalligraphen aus der ganzen Welt Beiträge geliefert haben, wird kaum jemand von allen Kunstwerken gleichermaßen angesprochen werden; zu verschieden werden die Geschmäcker sein. Für meine Begriffe sind die meisten davon jedoch von hoher ästhetischer Qualität. Ein Beispiel:

Die wichtigsten Aussagen Knuths finden sich meiner Meinung nach in seinem Nachwort:

“Manchmal tauchen in theologischen Studien mathematische Berechnungen auf, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Autorschaft der biblischen Bücher. Ich fand viele der statistischen Argumente in den Werken, die ich gelesen habe, nicht überzeugend. Denn die Methoden, die “beweisen”, daß Paulus nicht alle die Briefe geschrieben hat, die seinen Namen tragen, würden auch “beweisen”, daß ich nicht alle Kommentare zu den Paulusbriefen in diesem Buch geschrieben habe! Mein Vokabular und mein Stil sind auf verschiedenen Seiten dieses Buches verschieden, weil ich über ganz verschiedene Dinge schreibe. Und mein Vokabular und mein Stil sind in meinen Büchern über Informatik und Mathematik wieder ganz anders. Trotzdem weiß ich, daß ich der Autor all dieser Werke bin, auch wenn die Statistik dagegenspricht.”

“Genauso haben viele Gelehrte gemeint, daß Jakobus und Petrus nicht genügend gebildet gewesen wären, um die feinen griechischen Texte zu verfassen, die ihnen zugeschrieben werden. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, daß es ganz einfach ist, so etwas zu tun, denn ich habe einmal ein Buch in Französisch geschrieben – einer Sprache, die ich gar nicht spreche – mit Hilfe von drei talentierten Studenten, deren Muttersprache Französisch war. Wir vier diskutierten jeden Satz dieses Buches (Mariages Stables, Montreal, 1976) und ich weiß, daß ich den Inhalt und sogar den Stil vorgegeben habe, obwohl eigentlich sie das Buch geschrieben haben.” (S. 249/250).

Diese Aussagen eines großen Mathematikers sollte sich so mancher historisch-kritische Statistik-Akrobat ins Stammbuch schreiben lassen!

Völlig unverständlich ist mir allerdings, daß Knuth dann doch selbst wieder solche zweifelhaften statistischen Argumente benutzt um zu zeigen, daß die Klagelieder angeblich nicht von Jeremia stammen (S. 106).

Ein weiterer sehr bemerkenswerter Abschnitt:

“Ich meine es ist tragisch, daß viele des wissenschaftlichen Fortschritts wegen meinen, sie wüßten alles und daß Gott irrelevant oder nicht existent sei. Tatsache ist, daß alles, was wir lernen, noch mehr Dinge zutage bringt, die wir nicht verstehen. Die Botschaft von Jesaja 29.13-14, daß die Weisheit vergeht wenn unsere Herzen fern von Gott sind, trifft heute noch viel mehr zu als damals, als sie zuerst verkündigt wurde. Paulus weist die menschliche Weisheit in die Schranken wenn er bemerkt, daß die “Torheit” Gottes höher steht als die besten Versuche menschlichen Verstehens (1. Korinther 1.25). Ehrfurcht vor Gott kommt ganz automatisch, wenn wir ehrlich anerkennen, wie wenig wir wissen” (S. 89).

Und die Quintessenz, die Knuth selber nennt:

“Wir wissen, daß die Bibel eine Herausforderung ist. So ist es unsere Aufgabe, ausgeglichen und stabil zu sein, wachsend in der Gnade und im Wissen. Tatsächlich ist die Idee des fortgesetzten geistlichen Wachstums durch fortgesetztes Studium vielleicht die wichtigste Lektion, die ich aus den 3.16ern der Bibel gelernt habe.” (S. 237).

Dem ist nichts hinzuzufügen.


© 1997 Martin Schweikert. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung.

 

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